Am 31.05.2016 fand die Tagung des Gunda-Werner-Instituts “Gegner*innenaufklärung – In-formationen und Analysen zu Anti-Feminismus” statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden mehrere Tagungsberichte von Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst.
Workshopleitung: Judith Rahner, Amadeu Antonio Stiftung
Antifeminismus begegnen – aber wie? Judith Rahner ist Projektmitarbeiterin in der Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit der Amadeu Antonio Stiftung. Sie begleitet Mitarbeiter*innen von Jugendeinrichtungen dabei, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzutreten.
Zunächst lenkt Judith unseren Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland: Argumentationen, die vor einigen Jahren als recht(sextrem) abgelehnt worden wären, haben den Einzug in die Mehrheitsgesellschaft gefunden. Auch in der Jugendarbeit macht sich dies bemerkbar. Und dass rechte Meinungen wieder gesellschaftsfähig sind, macht es denen, die dagegen ankämpfen, nicht einfacher. Da unsere Prägung im Kindes- und Jugendalter beginnt, sollte auch die antisexistische und antirassistische pädagogische Arbeit bereits früh ansetzen. Judith verdeutlicht, dass Stereotype über Ausschlüsse und Teilhabe entscheiden und dabei helfen, die ungleiche Verteilung von Ressourcen zu rechtfertigen. Diese Stereotype betreffen alle Menschen – jedoch in sehr unterschiedlicher Weise. Während die einen ausgeschlossen werden, profitieren die anderen von eben diesen Ausschlüssen. Privilegien zu erkennen und zu reflektieren kann ein erster Schritt in der kritischen Jugendarbeit sein.
Die leitenden Prinzipien der Jugendarbeit entstanden jedoch in einer Zeit, in der diversitätssensible Jugendarbeit in weiter Ferne lag. Sie sind durch ihren historischen Entstehungskontext bedingt. Judith stellt die Frage in den Raum, ob diese Prinzipien noch ausreichen, um Rassismus und Sexismus in der Jugendarbeit wirkungsvoll zu begegnen. Können diese Prinzipien den diversen Lebenserfahrungen von Jugendlichen heute gerecht werden? Judith plädiert dafür, Diversität als Ausgangspunkt und Bildungsauftrag der Jugendarbeit zu verstehen. Die Einrichtungen selbst müssen daran arbeiten, Antidiskriminierung zu institutionalisieren. Alle Mitarbeitenden, sowohl Hauptamtliche als auch Ehrenamtliche, haben die Aufgabe, die Umsetzung aktiv mit zu gestalten – und nicht die Zuständigkeit für diesen Grundpfeiler der Arbeit an eine einzelne Person abzugeben. Angesetzt werden soll schon in der Ausbildung der Mitarbeitenden. Zum jetzigen Zeitpunkt durchlaufen viele Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen eine Ausbildung, in der Antidiskriminierung nicht unbedingt thematisiert wird. In der Praxis sorgt dies für eine Überforderung der Mitarbeitenden, die wiederum Ausschlüsse von Jugendlichen produziert. Antidiskriminierung muss auf sämtlichen Ebenen umgesetzt werden – Politik, Verwaltung und Lehre dürfen hier keine Ausnahmen bleiben.
Aus ihrer eigenen Erfahrung berichtet Judith, dass der Weg hin zu diversitätssensibler Jugendarbeit für Mitarbeitende ein schmerzhafter sein kann. Eigene Rassismen und Sexismen zu erkennen und an einer Änderung der eigenen Praxis zu arbeiten stellt jede Person vor eine große Herausforderung. Um Jugendlichen Werte näher zu bringen, braucht es aber eine klare Haltung, die jegliche Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ablehnt.
Kritische Jugendarbeit versucht dies, indem sie den Abbau und die Prävention von Ideologien der Ungleichwertigkeit fördert. In vielen Regelinstitutionen der Jugendarbeit ist diese Auseinandersetzung jedoch noch nicht angekommen. Aufgrund dessen fordert Judith, kritische, diversitätssensible Jugendarbeit als Qualitätsmerkmal festzulegen und als Ziel zu definieren. Aktuell fehlen institutionsübergreifende Standards und wirksame Instrumente. Fachkräfte sehen es deswegen oft nicht als ihre Aufgabe an, sich dieser Herausforderung zu stellen. Initiativen und Stiftungen haben vielseitige Projekte entwickelt, um Fachkräfte bei der Begegnung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit zu unterstützen.
In der kritischen Jugendarbeit ist es unabdinglich, die Erfahrungen von betroffenen Jugendlichen und Fachkräften zu berücksichtigen. Die Verantwortung für eine kritische Debatte innerhalb der Institution darf nicht nur bei Betroffenen liegen. Auch nicht betroffene Fachkräfte können ihre Projekte achtsam umsetzen, einen Perspektivwechsel vornehmen und so Verantwortung übernehmen. Diversität und die damit verbundenen unterschiedlichen Erfahrungen anzuerkennen ist der erste Schritt. Inklusivität und Multiperspektivität stellen in der folgenden Praxis die Grundlage der pädagogischen Arbeit dar. Die Perspektiven von Jugendlichen, die von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffen sind, müssen ernst genommen werden und nicht als 'anders' oder Ausnahmen definiert werden. Ebenso darf die Abwesenheit bestimmter Gruppen nicht zu einer weiteren Diskriminierung ihrer Erfahrungen führen – eine fachliche Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit muss trotzdem geschehen. Eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Handlungsfeld der diversitätssensiblen Jugendarbeit soll integraler Bestand der Ausbildung werden. In der Praxis müssen regelmässig stattfindende, fachlich begleitete Teamsupervisionen und Fallbesprechungen, die den Fachkräften Räume zur Reflexion über Sprache, Markierungen, Kulturalisierungen und Fremdzuschreibungen geben, geschaffen werden. Zusätzlich ist die stetige, aktive Beschäftigung mit machtkritischer Bildungsarbeit und selbstreflexiven Methoden durch Fort- und Weiterbildungsangebote zu gewährleisten.
Auch wenn diversitätssensible Jugendarbeit eine Aufgabe aller Beteiligten ist, muss Diversität in den Teams der Jugendeinrichtungen gefördert werden. Teammitglieder sollten die eigene gesellschaftliche Position und damit einhergehende Privilegien reflektieren.
Immer wieder ist auch die Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse, in welche Jugendarbeit eingebunden ist, notwendig. Rechte Parolen, die auch alltäglich sagbar geworden sind, propagieren rassistische und sexistische Bilder. Das Sexismus auch in Deutschland ein Problem ist, wird ausgeblendet und Feindbilder wie 'der' Islam geschaffen, die es, so die rechte Rhetorik, nun nötig machen, 'deutsche' Frauen zu beschützen. Sexismus in Deutschland wird evolutionistisch als 'aufgearbeitet' betrachtet, während den Menschen, die als 'die Anderen' konstruiert werden, diskriminierendes Verhalten zugeschrieben wird - zusammen mit dem Fehlen der Fähigkeit, sich mit diesem auseinanderzusetzen. Indem Sexismus kulturalisiert wird, wird gleichzeitig die eigene Auseinandersetzung mit problematischen Männlichkeitskonstruktionen als unnötig definiert. Die als erreicht betrachtete 'Emanzipation der Frau' wird als hiesiges Qualitätsmerkmal dargestellt und dient rechter Rhetorik dazu, die 'Anderen' als rückständig zu konstruieren.
Aktuelle Geschehnisse haben Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche und somit auf die pädagogische Praxis in den Einrichtungen. Dies wirft in der pädagogischen Praxis Fragen auf. Welche Bedeutung haben Geschlecht und Rassifizierung? Welche Konflikte werden kulturalisiert? In welchen Situationen werden Diskriminierungsdimensionen gegeneinander ausgespielt?
Im Anschluss an Judiths Vortrag kamen von den Teilnehmenden vor allem praktische Fragen, die Erlebnisse der Teilnehmenden widerspiegelten und bei Judith Rat suchten. Wie gehe ich mit rassistischen Kolleg*innen um? Und wie mit von Rassismus betroffenen Jugendlichen, die sich antisemitisch äußern? In wie weit ist es sinnvoll, die Eltern in den Prozess mit einzubinden? Wie können die Wünsche der Jugendlichen berücksichtigt werden? Wo fängt Diskriminierung an – weiss die*der Jugendliche, was er*sie sagt?
Es wurde deutlich, dass viele Teilnehmende an ihrem Arbeitsplatz mit Ideologien der Ungleichwertigkeit konfrontiert sind – und diese Konfrontation zu Überforderung führt.
Gemeinsam entwickelten die Teilnehmenden anhand eines Fallbeispiels Strategien für den Umgang mit einer rassistischen Aussage, die aber gleichzeitig auch die Ängste einer von Sexismus Betroffenen widerspiegelt. Die Jugendliche in ihrer Angst ernst zu nehmen war den Teilnehmenden sehr wichtig, genauso wie das Stellen von Rückfragen, um die Aussage kontextualisieren zu können. Ein Teilnehmender schlug vor, Selbstverteidigungskurse für Mädchen einzuführen – andere wiesen darauf hin, dass solche Kurse generell angeboten werden sollten, jedoch nicht als Reaktion auf rassistische Aussagen, da dies die gruppenbezogene Menschenfeindlich noch bestärken könnte. Es wurde vorgeschlagen, Begegnungen zu ermöglichen, um Vorurteile abzubauen und mit partizipativen Empowerment-Ansätzen zu arbeiten, die die Jugendlichen aktiv einzubinden.
Im Workshop wurden Ideen vorgestellt und diskutiert, aus verschiedenen Sprecher*innenpositionen reflektiert und überdacht – so wurde deutlich, wie essenziell der Prozess der Haltungserarbeitung im Team ist. Und gerade da festgefahrene Hierarchien auch Teamarbeit oft dominieren ist und bleibt der Austausch mit kompetenten externen Expert*innen aus Institutionen der politischen Bildung, die sich mit Sexismus und Rassismus kritisch auseinandersetzen, notwendig.